Wirtschaftsweise gegen Lindner: Front für Lockerung der Schuldenbremse

Wirtschaftsweisen uneins wie die Ampel, fordern jetzt Schuldenbremsen-Reform – Finanzminister gerät unter Zugzwang.

5.2.2024, 17:00
Eulerpool News 5. Feb. 2024, 17:00

Die Positionen der Ampelkoalition sind uneinig, wenn es um die Finanzpolitik geht - ähnlich wie eine Ampel mit ihren verschiedenen Farben. Doch nun setzen die Wirtschaftsweisen den Finanzminister unter Druck, indem sie eine Reform der Schuldenbremse vorschlagen.

Auf dem höchsten Niveau der politischen Debatte spricht FDP-Chef Christian Lindner über die Finanzierung von Investitionen, Entlastungen und internationaler Hilfe im Rahmen der Schuldenbremse. Für ihn ist dies nicht nur eine Verpflichtung aus der Verfassung, sondern auch aus wirtschaftlicher Vernunft.

Zum ersten Mal seit Ausbruch der Coronapandemie wird der Bund in diesem Jahr die Schuldenbremse einhalten. Für Lindner ist dies ein kleiner Luxus, der es ihm ermöglicht, seinen Koalitionspartnern SPD und Grünen entgegenzutreten.

Doch Lindner kämpft alleine für die Schuldenbremse, während am Dienstagmorgen die fünf Wirtschaftsweisen einen Reformvorschlag für die Schuldenbremse veröffentlichten. Gleichzeitig kritisiert der Internationale Währungsfonds (IWF) die deutsche Schuldenregelung.

Der Sachverständigenrat schlägt vor, dass der Bund in Zeiten geringer Gesamtverschuldung höhere Defizitausgaben genehmigt werden. Zudem werden das Verfahren zur Konjunkturbereinigung angepasst und der Übergang zur Schuldenregelung im Notfall sanfter gestaltet.

Dies könnte dem Bund einen zusätzlichen finanziellen Spielraum von über 50 Milliarden Euro bis 2027 verschaffen. Die Vorschläge des Sachverständigenrates werden die Debatte über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse erneut anheizen.

Die Wirtschaftsweisen, die in ihren finanzpolitischen Positionen ähnlich gespalten sind wie die Ampelkoalition, haben trotzdem eine gemeinsame Position zur Schuldenbremse gefunden.

Dies könnte auch ein Signal an die Politik sein. Die Ökonomen schlagen in ihren Reformvorschlägen die größten Kontroversen aus, wie zum Beispiel die Idee, Investitionen generell von der Regel auszunehmen. Dennoch fordern sie weitreichende Änderungen im Grundgesetz.

Neben der FDP müsste auch die Union zustimmen, was derzeit unwahrscheinlich ist.Trotzdem wirbt die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Monika Schnitzer, dafür, dass die Vorschläge die Flexibilität der Fiskalpolitik erhöhen und die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen nicht gefährden. Im Detail beinhaltet der Vorschlag:

1. Flexibilität der Neuverschuldung je nach Schuldenstand

In normalen Zeiten erlaubt die Schuldenbremse eine jährliche Kreditaufnahme von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Sachverständigenrat hält dies für zu starr, da Investitionen dadurch "unnötig" eingeschränkt werden. Unter bestimmten Bedingungen, wie zum Beispiel einem höheren Wirtschaftswachstum oder niedrigen Zinsen, seien "tragfähigere Schuldenquoten möglich".

Die Schuldenquote zeigt die Gesamtverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung an. Aktuell liegt Deutschland bei 64 Prozent. Der Vorschlag sieht drei Szenarien vor: Liegt die Schuldenquote unter 60 Prozent, wird eine jährliche Kreditaufnahme von einem Prozent ermöglicht. Liegt die Schuldenquote über 60 Prozent, wird eine Verschuldung von 0,5 Prozent erlaubt. Überschreitet die Schuldenstandsquote 90 Prozent, wird wieder dieursprüngliche Kreditaufnahme von 0,35 Prozent festgesetzt.

Nach Simulationen des Rates würde diese Reform dazu führen, dass die Schuldenquote bis 2070 auf 59 Prozent sinkt. Ohne Reform würde die bestehende Regelung dazu führen, dass die Quote auf unter 30 Prozent fällt.

2. Übergangsregelung nach Krisen

Im Moment enden Krisen gemäß der Schuldenbremse immer am 31. Dezember eines Jahres. Im Grundgesetz ist geregelt, dass der Bundestag einen Notstand ausgerufen kann - wie es in den letzten Jahren aufgrund von Pandemien oder Energiesicherheitsbedenken geschah.

Allerdings kann der Notstand immer nur für ein Jahr beschlossen werden. Ab dem 1. Januar sinkt die erlaubte Kreditaufnahme wieder auf 0,35 Prozent. Die Auswirkungen von Schocks enden jedoch nie abrupt. Sie klingen zwar schnell ab, aber sie erstrecken sich über Jahre.

Der Sachverständigenrat schlägt daher eine Übergangsphase nach einem Notfall vor. "Krisen haben oft noch bemerkbare Auswirkungen, auch wenn die primäre Ursache bereits überwunden ist", so die Wirtschaftsweisen. Die Übergangsphase könnte entweder vier Jahre dauern, in denen die erlaubte Kreditaufnahme jedes Jahr um 0,5 Prozentpunkte reduziert wird, oder drei Jahre, wobei die Kreditaufnahme jedes Jahr linear auf 0,35 Prozent zurückgeführt wird.

Diese Reform schafft fiskalischen Spielraum und stärkt gleichzeitig die Schuldenbremse, da wiederholte Diskussionen über die erneute Ausrufung eines Notfallzustands vermieden werden. Es sprachen sich bereits Ökonomen aller Couleur für diese Übergangsregelung aus.

3. Konjunkturkomponente

Die 0,35 Prozent regeln nicht nur die jährliche Neuverschuldung, sondern werden je nach wirtschaftlicher Lage angepasst: In schlechten Phasen sind höhere Schulden möglich, in guten weniger. Dies ermöglicht der Regierung, auf Konjunkturschwankungen zu reagieren und sie zwingt sie dazu, für schlechtere Zeiten zu sparen. Entscheidend für die Berechnung ist die Abweichung der konjunkturellen Entwicklung von der Normalauslastung, also dem Potenzial der deutschen Wirtschaft.

Die Schätzung dieser Größe ist jedoch aus Sicht der Wirtschaftsweisen und vieler anderer Ökonomen veraltet. Eine Reform ist im Koalitionsvertrag vorgesehen und könnte ohne Änderung des Grundgesetzes umgesetzt werden. Während eines ökonomischen Workshops in den letzten Monaten hat die Bundesregierung mehrere Vorschläge gesammelt, die jedoch stark voneinander abweichen.

Der Spielraum, den sie aktuell bieten würden, liegt zwischen wenigen Milliarden und einer höheren zweistelligen Milli

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