Fortschritt im Wirecard-Prozess weiter ungewiss - 100 Verhandlungstage voller Rätsel

Eulerpool News
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Mit dem 100. Verhandlungstag im Wirecard-Skandal setzt sich die unglaubliche Komplexität des vielleicht größten deutschen Betrugsfalls der Nachkriegsgeschichte fort. Seit nunmehr 14 Monaten ringen die Beteiligten am Landgericht München I um Aufklärung, und noch immer ist kein Ende in Sicht, wie ein Gerichtssprecher kürzlich verkündete. Die Ausdauer von Richter, Schöffen, Verteidigung und Sachverständigen wird somit weiterhin strapaziert – ebenso wie die Geduldfäden der drei Angeklagten. Im Fokus stand dieses Mal die Befragung der ehemaligen Aufsichtsrätin Anastassia Lauterbach, die sich der gleichen kritischen Fragen erwehren musste wie ihre ehemaligen Kollegen. Im Zentrum: das Verhältnis zwischen Wirecard-Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfern. Für besonderes Aufsehen sorgte die Aufhebung des Haftbefehls gegen den Kronzeugen Oliver Bellenhaus, was Markus Braun als einzigem Angeklagten seinen Status als U-Häftling bestätigt. Vertreter Brauns reagierten mit scharfer Kritik und Behauptungen über unausgesprochene Absprachen. Zunehmend unstrittig scheinen die Vorfälle verdächtiger Natur in den Geschäftsaktivitäten von Wirecard. So führte eine per Video zugeschaltete Zeugin aus Bangkok ihre vermeintliche Unwissenheit über das Unternehmen an, obwohl ihre Unterschrift in offiziellen Dokumenten auftaucht. Ein japanischer Manager zeigte sich im Gericht erstaunt darüber, in Hunderte Wirecard-Verbindungen eingebunden gewesen zu sein. Aussagen von Schlüsselfiguren wie dem ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas Eichelmann oder einem Manager von Visa lassen darauf schließen, dass die unternehmerische Sorgfaltspflicht bei Wirecard eher lax gehandhabt wurde. Die Klärung der Frage, ob Braun als Betrüger oder Opfer zu sehen ist, bleibt allerdings weiterhin offen. Laut Anklage soll er Teil einer Gruppe gewesen sein, die Milliardenumsätze nur auf dem Papier existieren ließ. Stütze dieser These: Die vermeintlichen Umsätze flossen angeblich über drei Drittpartner-Firmen. Die Verteidigung des früheren Vorstandschefs stellt dem entgegen, dass andere Akteure hinter den Kulissen agierten und fordert ein differenziertes Bild. Jüngste Zeugenaussagen bekräftigen die Zweifel an der Realität der Wirecard-Geschäftstätigkeiten, insbesondere bei der Senjo-Gruppe. Den fehlenden Milliarden ist auch Insolvenzverwalter Michael Jaffé noch nicht auf der Spur – seine Aussage wird in Anbetracht des verstrickten Falls mit Spannung erwartet. Doch bis dahin müssen sich alle Beteiligten möglicherweise noch gedulden, denn die Vernehmung des Insolvenzverwalters steht erst gegen Ende des Beweisverfahrens an.