Olaf Scholz hat den Stecker gezogen. Die fragile Koalition, die er einst aus SPD, FDP und Grünen formte, ist Geschichte. Die Prognosen für seine Partei? Düster. Doch ausgerechnet jetzt, inmitten dieses politischen Sturms, erlebt Scholz einen Popularitätsschub innerhalb seiner eigenen Partei, den selbst langjährige SPD-Mitglieder kaum erklären können.
Letzte Woche stand Scholz inmitten eines Saals voller SPD-Abgeordneter, die ihn mit Standing Ovations feierten – eine Szene, die Jens Spahn von der CDU schlicht als „surreal“ bezeichnete. Der Bundeskanzler, den viele bereits abgeschrieben hatten, wird plötzlich als Held gefeiert. „Hier ist Olaf Scholz, ein gescheiterter Kanzler, seine Koalition ist zerbrochen, und seine SPD sieht darin Grund zum Feiern?“ fragt Spahn, kopfschüttelnd und mit einem gewissen Spott.
Ein symbolischer Schlussstrich unter das Experiment
Mit dem Ende der Koalition vollzog Scholz den letzten Akt eines lange brodelnden Dramas. Die Spannungen mit der FDP und insbesondere Finanzminister Christian Lindner hatten das Bündnis in die Knie gezwungen. Der Bruch, so sehen es viele in der SPD, war längst überfällig. Scholz’ Entscheidung, Lindner zu entlassen, war für einige Sozialdemokraten ein „Befreiungsschlag“, wie Dirk Smaczny, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins in Rheinhausen-Mitte, es ausdrückte.
„Es war wie ein Befreiungsschlag – längst überfällig,“ so Smaczny. „Wir haben lange darauf gewartet, dass Scholz Stärke zeigt, und jetzt hat er es endlich getan.“ Scholz selbst gab an, dass die Trennung von Lindner notwendig war, nachdem der Finanzminister die Suspendierung der „Schuldenbremse“ verweigert hatte, um mehr finanzielle Unterstützung für die Ukraine bereitzustellen – ein Thema, das seit der Wiederwahl von Donald Trump in den USA zunehmend dringlich wird.
Die SPD zwischen Stolz und Zweifel
Während viele in der SPD Scholz für seine Entscheidung loben, bleibt er eine polarisierende Figur. Seine Assoziation mit den umstrittenen Arbeitsmarktreformen unter Gerhard Schröder hat ihn bei der Arbeiterschaft unbeliebt gemacht, und sein Verlust der SPD-Vorsitzwahl 2019 ließ Zweifel an seiner Fähigkeit, die Partei zu einen, aufkommen. Doch als Kanzlerkandidat 2021 gelang ihm das politische Comeback, und er führte die SPD an die Spitze einer historisch einzigartigen Dreierkoalition.
Innerhalb der SPD regt sich dennoch der Wunsch nach einem Wechsel. Verteidigungsminister Boris Pistorius, der sich zu einem der beliebtesten Politiker Deutschlands gemausert hat, wird von einigen als besserer Kandidat für die kommende Wahl gehandelt. Zwei SPD-Politiker aus Hamburg, Scholz’ Heimatstadt, gingen so weit, ihm öffentlich nahe zu legen, Pistorius den Vortritt zu lassen. Markus Schreiber und Tim Stoberock argumentierten auf Instagram, dass Pistorius die größeren Chancen auf einen Wahlsieg habe und die SPD mit ihm „wesentlich besser abschneiden“ könnte.
Macht und Momentum – Scholz setzt auf seine Position
Doch Olaf Scholz, der schon einmal den schier aussichtslosen Kampf um die Macht gewonnen hat, zeigt keine Anzeichen, das Feld zu räumen. „Scholz hat den strategischen Vorteil, dass er die Zügel in der Hand hält,“ meint ein anonymer SPD-Abgeordneter. „Er ist es, der diesen Schritt getan hat. Er hat Neuwahlen angekündigt – das verleiht ihm eine gewisse Stärke.“
Sein Sprecher, Steffen Hebestreit, verteidigt den fehlenden parteiinternen Auswahlprozess: „Er ist der natürliche Kandidat, weil er Kanzler ist. Und die Zeit drängt.“ Tatsächlich bleiben bis zu den möglicherweise bevorstehenden Neuwahlen nur wenige Monate, sollte Scholz das Vertrauen im Bundestag verlieren.
Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel sieht die SPD in einer schwierigen Lage. Er vergleicht sie mit den Demokraten in den USA, die über einen Wechsel von Joe Biden zu Kamala Harris kurz vor den Wahlen nachdachten, jedoch merkten, dass dieser Schritt eher Chaos als neue Energie brachte. „Große Experimente sollten die Sozialdemokraten jetzt nicht wagen,“ so Schroeder. Ein schneller Kandidatenwechsel könnte ebenso flüchtig sein wie der kurzfristige Anstieg der Umfragewerte in den USA.
CDU sieht sich im Vorteil
Die CDU hingegen blickt optimistisch auf die bevorstehenden Neuwahlen. Oppositionsführer Friedrich Merz wittert seine Chance, während CDU-Mann Spahn Scholz als „das Gesicht des Scheiterns“ beschreibt – ein vermeintlich idealer Gegner für die Christdemokraten.