HSBC zwang das britische Fintech-Unternehmen Stenn im vergangenen Jahr in die Insolvenz, nachdem interne Untersuchungen dubiose Zahlungsvorgänge in Höhe von Hunderten Millionen Dollar aufgedeckt hatten. Gerichtsdokumente des Londoner High Court, die der Financial Times vorliegen, zeigen, dass Stenn Gelder von Unternehmen erhielt, deren Namen denen etablierter Konzerne ähnelten, die aber in keinerlei Verbindung zu diesen standen.
Unter anderem flossen Millionen von Dollar von einer Firma, die im Besitz eines Einzelunternehmers in einem abgelegenen chinesischen Dorf war. Weitere Gelder kamen von Unternehmen mit scheinbaren Verbindungen zu Großkonzernen wie dem taiwanischen Elektronikhersteller Foxconn oder dem spanischen Ölkonzern Repsol, die jedoch keine operativen Niederlassungen in den betroffenen Ländern hatten.
Die neuen Enthüllungen werfen weitere Fragen zur Aufsicht über Stenn auf, das für Zwecke der Geldwäscheprävention von der britischen Finanzaufsichtsbehörde FCA reguliert wurde. Die beiden britischen Einheiten des Fintechs wurden im Dezember 2024 nach einem Insolvenzantrag der HSBC Innovation Bank, dem früheren Silicon Valley Bank UK, unter Zwangsverwaltung gestellt.
Laut HSBC-Anwälten hatte die Bank Stenn wegen eines ausstehenden Kredits über 35 Millionen Dollar in Verzug gesetzt, nachdem Untersuchungen ergaben, dass Zahlungen nicht wie angegeben von „blue-chip companies“ geleistet wurden. Stattdessen erfolgten sie von Firmen mit Sitz in Serbien, die keine erkennbare Verbindung zu den Rechnungsstellern hatten und häufig kurz nach ihrer Gründung ohne hinterlegte Geschäftsberichte liquidiert wurden.
Besonders auffällig waren Unternehmen in Serbien mit Namen, die großen Konzernen wie Foxconn oder Repsol ähnelten. Auch ein Unternehmen namens „Zalando SE Limited“ mit Sitz in Hongkong spielte eine Rolle, dessen einzige Verbindung zur deutschen Zalando SE lediglich die Namensähnlichkeit war. HSBC stellte fest, dass das Unternehmen von einer Einzelperson aus der ländlichen chinesischen Provinz Liaoning geführt wurde – ein Standort, der als „entlegenes Dorf mit sehr kleinen Behausungen“ beschrieben wird.
Die Bank argumentierte, dass es „keine denkbare Erklärung oder Rechtfertigung“ für diese Finanzströme gebe. Insgesamt bezifferte HSBC den Wert der fraglichen Rechnungen, die 2023 und 2024 geprüft wurden, auf über 220 Millionen Dollar.
Stenn widersprach dem Antrag von HSBC nicht, sodass die Insolvenzverwaltung noch am selben Tag eingeleitet wurde. Die Verwalter bestätigten kürzlich in einem Bericht, dass bereits vor der Insolvenz „Vorwürfe zu potenziellen Unregelmäßigkeiten“ bekannt waren.
Stenns Gründer und CEO Greg Karpovsky war zuvor in ein russisches Finanzunternehmen involviert, das später unter Betrugsvorwürfen zusammenbrach. Gegenüber der Financial Times wies er jegliches Fehlverhalten zurück und betonte, dass „mögliches Fehlverhalten“ in seiner früheren russischen Firma erst nach seinem Ausscheiden aufgedeckt wurde.