AI
Amazon vs. ChatGPT: Alexa’s KI-Revolution oder Milliardenflop?
Amazon will mit Alexa die KI-Welt erobern – doch technische Herausforderungen verzögern die Veröffentlichung und lassen Zweifel aufkommen
Sommer 2023. Amazon-CEO Andy Jassy sitzt vor einem Prototyp von Alexa, gespickt mit einer neuen künstlichen Intelligenz. Sein Ziel: herauszufinden, ob Amazons Sprachassistent den Fragen eines eingefleischten Sportfans wie ihm standhält und endlich mit dem Hype um ChatGPT mithalten kann. Jassy, ein Fan der New York Giants und Investor der Seattle Kraken, stellt Alexa auf die Probe, befragt sie zu Spielständen, Teamhistorien und einzelnen Spielerleistungen. Doch als Alexa auf die Frage nach einem aktuellen Ergebnis einfach ein Spiel erfindet, wird klar: Diese Version ist noch lange nicht marktreif.
Die Entwickler haben einen beachtlichen Prototypen präsentiert, und Jassy ist begeistert – vorerst. Die Vision, Alexa zur ultimativen persönlichen Assistentin zu machen, bleibt bestehen. Doch die Vorstellung, das Produkt im großen Stil Anfang 2024 zu veröffentlichen, gerät ins Wanken. Interne Dokumente zeigen, dass das geplante Enthüllungsevent im Oktober abgesagt und stattdessen ein bescheideneres Kindle-Event abgehalten wurde. Alexa wird weiter zurückgestellt, das Ziel rückt ins Jahr 2025.
Ein ungenutzter Vorsprung
Amazons Alexa schuf einst die Kategorie der sprachgesteuerten Smart-Home-Geräte. In Millionen Haushalten war sie mehr als ein Gadget; sie wurde zum Alltagshelfer, Küchenwecker und Musikkurator. Doch trotz dieser Verbreitung blieb der finanzielle Durchbruch aus. Alexa ist für viele eher ein Haushaltsassistent als ein profitables Geschäft. Amazons Hoffnung liegt nun auf einer radikalen Neuerfindung: einer Alexa, die ChatGPT und Co. Konkurrenz macht und den Umsatz steigert – vielleicht sogar zum Abo-Produkt wird.
Doch der Sprung in die Zukunft ist steinig. Während Unternehmen wie Google und Microsoft Milliarden in ihre KI-Entwicklung pumpen, fehlt es Amazon an der gleichen Dringlichkeit. Dass Amazon in dieser Situation steckt, ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen vor zehn Jahren mit Alexa und Echo ein eigenes Segment geschaffen hat. Heute jedoch steht die Gefahr, dass Alexa als eines der größten Missverständnisse der Konsumtechnologie in die Geschichte eingehen könnte – ähnlich wie Microsofts missglückter Versuch, das Smartphone-Marktsegment zu dominieren.
Bürokratie und Technikprobleme: Die Schattenseiten des Erfolgs
Alexa kämpft nicht nur mit technischen Herausforderungen. Einige Mitarbeiter sprechen von aufgeblähter Bürokratie und langwierigen Meetings, die Jassy in einem internen Memo kürzlich als „Vorbesprechungen für die Vorbesprechungen zu den Entscheidungstreffen“ kritisierte. Trotz seiner Bemühungen, die Entscheidungswege zu kürzen, bleibt das Tempo gedämpft. In Amazons Geschichte gibt es zwar zahlreiche Erfolgsgeschichten, bei denen es gelang, Konkurrenten auszumanövrieren. Doch ohne klare Vision für eine KI-getriebene Alexa bleibt die Frage offen, ob das Unternehmen diesmal schnell genug handelt.
Die technologische Wende kam im November 2022, als ChatGPT die Szene betrat und die Erwartungen an KI-gestützte Konversationen neu definierte. Während Google sofort Alarm schlug und seine Entwicklungsabteilung aufrüstete, regierte bei Amazon zunächst Euphorie. Doch kurz darauf begannen die Sparmaßnahmen: Tausende Mitarbeiter wurden entlassen, darunter auch viele aus der unprofitablen Geräte- und Alexa-Abteilung. Die übrig gebliebenen Entwickler sollten nun das schaffen, was zuvor nicht gelang – mit deutlich weniger Ressourcen.
Alexa im Jahr 2023: Smarter, aber auch verwirrender
Der technische Fortschritt ist unbestreitbar, doch wie Amazon seine KI in Alexa integriert, bleibt problematisch. Tester berichten, dass die verbesserte Alexa bei vielen Aufgaben ins Schwanken gerät. Anstatt klare Antworten zu liefern, wird sie umständlich oder beantwortet Fragen schlichtweg falsch. So könnte sie auf die einfache Frage nach dem Wetter mit einem exakten, aber nutzlosen „81,0583°“ antworten. Für die Beta-Tester, die diese Funktion ausgiebig getestet haben, sind die Ergebnisse ernüchternd. Anstatt mit intuitiven Antworten zu glänzen, irritiert Alexa oft mit Halluzinationen – also Antworten, die „kreativ“ sind, aber wenig mit der Realität zu tun haben.
Eine der Herausforderungen liegt in der Balance zwischen generativer KI und klassischer Funktionsweise. Die LLM-Technologie erlaubt eine deutlich größere Bandbreite an Anfragen, von komplexen Erklärungen bis hin zu lockerem Smalltalk. Doch zugleich leidet Alexa bei Standardaufgaben wie dem Setzen eines Timers oder dem Abrufen eines einfachen Wetterberichts. Einige Tester meinen gar, Alexa versuche manchmal, mit ihren neuen Fähigkeiten anzugeben – zum Beispiel, indem sie eine harmlose Frage übertrieben lang beantwortet.
Der Showdown: Wird Alexa die Konkurrenz überflügeln?
Amazons Plan, Alexa als „KI-Assistentin der nächsten Generation“ zu positionieren, erfordert Geduld – und erhebliche Investitionen. Intern wächst jedoch der Druck. Amazon-Kunden sind an den Komfort gewöhnt, den Echo-Geräte bieten. Doch wenn Alexa ab 2025 tatsächlich wie ein LLM antworten soll, könnte es bereits zu spät sein. Die Konkurrenz schläft nicht, und das Vertrauen der Verbraucher könnte schon längst bei einem anderen Anbieter liegen.
Amazon selbst bleibt optimistisch. Doch ohne ein echtes „Moment der Wahrheit“, in dem Alexa sich als unverzichtbarer Assistent neu definiert, droht sie, hinter den Marktführern zurückzufallen – diesmal ohne die Chance, das Ruder schnell herumzureißen.