Europa hat genug. Zu lange war die EU auf US-amerikanische Technologien angewiesen. Jetzt startet die Union ihr ehrgeizigstes Weltraumprojekt seit einem Jahrzehnt: Iris², ein Satellitennetzwerk, das Europa autonome, sichere und hochmoderne Kommunikation verspricht – und gleichzeitig den Wettlauf mit Elon Musks Starlink aufnimmt. Preis: satte 10,6 Milliarden Euro. Doch hinter der Mission steckt mehr als nur Technik: Es geht um Macht, Innovation und Europas Zukunft in der Raumfahrt.
Der Milliardenpoker: Europa setzt alles auf eine Karte
Mit Iris² plant die EU, 290 Satelliten in niedrigen und mittleren Erdumlaufbahnen zu platzieren. Ziel: Ein Netzwerk, das sowohl Bürgern als auch Regierungen ultraschnelle Kommunikation bietet. Für die Europäische Kommission ist das Projekt ein Schlüssel zur strategischen Autonomie. Timo Pesonen, Generaldirektor für Verteidigung und Raumfahrt, bringt es auf den Punkt: „Autonome und sichere Konnektivität ist für Europa zwingend notwendig.“
Doch der Weg zu diesem Meilenstein war steinig. Das ursprüngliche Budget von 6 Milliarden Euro wurde förmlich pulverisiert, die endgültigen Kosten explodierten auf 10,6 Milliarden Euro. 61 Prozent davon tragen die EU-Mitgliedstaaten, während der Rest von einem Industriekonsortium namens SpaceRise gestemmt wird – angeführt von Unternehmen wie Eutelsat, Hispasat und SES.
SpaceRise: Wer wagt, gewinnt?
Besonders ins Rampenlicht rückt der private Sektor: Eutelsat, einer der größten Investoren, steuert alleine 2 Milliarden Euro bei. Für das ohnehin verschuldete französische Unternehmen ist Iris² ein Balanceakt. CEO Eva Berneke sieht es pragmatisch: „Wir bekommen Zugang zu Technologien, die zu einem Großteil aus öffentlichen Mitteln finanziert werden.“
Doch Iris² ist nicht nur ein Prestigeprojekt. Es soll auch die europäische Raumfahrtindustrie aus der Krise ziehen. Der Shift von großen geostationären Satelliten hin zu kleineren, flexiblen Konstellationen in niedriger Erdumlaufbahn hat Firmen wie Airbus und Thales schwer getroffen. In den letzten Monaten kündigten beide Unternehmen tausende Stellenstreichungen an.
Starlink im Visier: Musk, zieh dich warm an
Während Musk mit über 6.000 Starlink-Satelliten weltweit für Furore sorgt, hinkt Europa hinterher. Laut einem Bericht des ehemaligen italienischen Premiers Mario Draghi liegen die kommerziellen und exportbezogenen Einnahmen der europäischen Raumfahrt auf einem Tiefstand – vergleichbar mit 2009. „Wir laufen Gefahr, unsere Führungsposition im Raumfahrtsektor zu verlieren“, warnt Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA.
Iris² könnte hier den Umschwung einläuten. Neben kommerziellen Breitbanddiensten soll das Netzwerk Regierungen in Krisen- und Verteidigungssituationen unterstützen. Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze – all das verspricht das Programm. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Musk bleibt ein disruptiver Faktor für europäische Anbieter.
Die Frage der Macht: Wer profitiert?
Die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland, traditionell die Schwergewichte in der europäischen Raumfahrt, hat bei Iris² bereits Risse gezeigt. Deutschlands Bedenken über Kosten und Arbeitsverteilung wurden laut. Philippe Baptiste, Präsident der französischen Raumfahrtagentur CNES, betont jedoch: „Es gibt keine Garantie, dass französische Unternehmen den Löwenanteil der Arbeit erhalten.“ Stattdessen entscheidet der Markt. „Wer die besten Angebote liefert, gewinnt.“
Dieser marktorientierte Ansatz mag zwar fair klingen, könnte jedoch Spannungen in der EU weiter verschärfen. Besonders für Länder wie Deutschland bleibt abzuwarten, wie groß ihr Anteil am Kuchen sein wird.
Europas Comeback im All?
Für die EU ist Iris² mehr als ein Satellitenprogramm – es ist eine Kampfansage. An Musk, an Abhängigkeiten und an die eigene Innovationsmüdigkeit. Der Wettlauf hat begonnen, und Europa setzt alles auf diese neue Konstellation.
Ob Iris² tatsächlich das Zeug hat, Starlink herauszufordern, bleibt abzuwarten. Aber eines ist sicher: Der erste Schritt Richtung Unabhängigkeit ist gemacht. Und Elon Musk wird Europa künftig etwas genauer im Rückspiegel beobachten müssen.