Die Bundesregierung hat überraschend die Reißleine beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) gezogen – und dessen Umsetzung faktisch lahmgelegt. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) wurde angewiesen, Unternehmensberichte nicht mehr zu prüfen und bei Verstößen nur noch in „besonders gravierenden Fällen“ gegen Unternehmen vorzugehen. Ordnungswidrigkeiten sollen „äußerst restriktiv“ verfolgt werden, heißt es in einer Weisung des Wirtschaftsministeriums.
Ende der Sanktionen – Signal an die Wirtschaft
Die Maßnahme soll laut Ministerium eine „sofortige Entlastung für Unternehmen“ bringen – bedeutet in der Praxis jedoch eine massive Entkernung des Gesetzes. Verfahren zu neun von dreizehn Tatbeständen werden eingestellt, neue gar nicht erst eröffnet. Nur bei schweren Menschenrechtsverletzungen könnten künftig noch Bußgelder drohen – allerdings nur, wenn ein „besonderes öffentliches Interesse“ besteht.
Damit dürfte es weiterhin kaum Konsequenzen geben: Seit Inkrafttreten des Gesetzes 2023 hatte das BAFA zahlreiche Verfahren eingeleitet, aber noch keine einzige Sanktion verhängt.
Politischer Kurswechsel – und ein EU-Konflikt
Die schwarz-rote Koalition unter Kanzler Friedrich Merz hatte schon im Koalitionsvertrag angekündigt, das Lieferkettengesetz „abschaffen“ und durch eine EU-weite Regelung ersetzen zu wollen. Doch auch dort gibt es Streit: Kommission, Rat und Parlament arbeiten derzeit an einer Abschwächung der geplanten Richtlinie, über die Mitte Oktober abgestimmt werden soll.
Bis dahin gilt das deutsche Gesetz zwar formal weiter. Doch wie Jurist Marc Rutloff von Gleiss Lutz betont, ist es nun „so, als würde man sagen: Das Parkverbot gilt weiter – aber Falschparken wird nicht mehr geahndet. Außer vielleicht vor der Feuerwehreinfahrt. Nur weiß niemand, wo die beginnt.“
Rechtsunsicherheit bleibt – trotz Entlastung
Unternehmen müssen trotz der neuen Weisung weiterhin Risikoanalysen durchführen und diese intern dokumentieren. Nur die Berichtspflichten entfallen vorerst. Für viele Mittelständler, die zuvor über Bürokratie, unklare Definitionen und übertragene Pflichten durch Großkunden geklagt hatten, ist das ein Aufatmen – doch die Unsicherheit bleibt.
Jurist Martin Rothermel warnt, es bleibe offen, was konkret als „schwere Menschenrechtsverletzung“ gilt: „Gerade weil niemand weiß, wo die Grenze verläuft, kann ein Fall, der öffentliche Aufmerksamkeit erregt, plötzlich wieder sanktioniert werden.“
Ein Gesetz ohne Biss
Damit ist klar: Das Lieferkettengesetz hat zwar weiterhin Bestand – seine Durchsetzung wird aber weitgehend ausgesetzt. Für Unternehmen bedeutet das kurzfristig weniger Aufwand und Risiken. Für Menschenrechte in globalen Lieferketten jedoch ist das Gesetz ohne Sanktionen nur noch ein zahnloser Tiger.
Ob die EU-Regelung in Brüssel eine verbindlichere Nachfolge schafft, entscheidet sich im Oktober – und dürfte darüber bestimmen, ob Deutschland beim Thema Lieferkettenverantwortung künftig wieder Zähne zeigt oder nicht.







