Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr deutlich stärker schrumpfen als bisher angenommen. Auch die Prognose für das Jahr 2024 fällt nun pessimistischer aus.
Die Organisation aus Washington stellt ihre neue Konjunkturprognose an diesem Dienstag in Marrakesch vor.
Der IWF geht davon aus, dass Deutschland als einzige der fortgeschrittenen Volkswirtschaften in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verzeichnen wird. Die Wirtschaftsleistung wird voraussichtlich um 0,5 Prozent sinken, während im Sommer noch eine Prognose von minus 0,3 Prozent vorlag. Die ursprüngliche Prognose hatte seinerzeit für großes Aufsehen gesorgt und wurde zum Auslöser einer Debatte darüber, ob Deutschland wieder zum "kranken Mann Europas" werden könnte.
Die Revision auf minus 0,5 Prozent kommt nicht überraschend und entspricht anderen aktuellen Prognosen. Die Bundesregierung geht für dieses Jahr von einem Minus von 0,4 Prozent aus, wie bereits das Handelsblatt vergangenen Freitag berichtete.
Auffälliger ist die Diskrepanz bei der Prognose für das Jahr 2024. Hier sind sich der IWF und die Bundesregierung einig, dass die deutsche Wirtschaft wieder wachsen wird. Allerdings schätzt der Währungsfonds die Wachstumsrate mit nur 0,9 Prozent deutlich schlechter ein als im Sommer, als noch ein Wachstum von 1,3 Prozent erwartet wurde. Die Differenz der Prognosen resultiert vermutlich aus einer unterschiedlichen Einschätzung der Preisdynamik.
Während sich der IWF und die Bundesregierung bei der Inflationsrate für dieses Jahr noch recht einig sind (6,3 Prozent bzw. 6,1 Prozent), gehen die Erwartungen für das kommende Jahr auseinander. Während Berlin eine deutliche Abschwächung der Preissteigerungen auf 2,6 Prozent prognostiziert, rechnet der IWF mit einer Inflation von 3,5 Prozent.
Grund dafür sei laut IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas die starke Überwälzung der höheren Energiepreise, die die Kerninflation im Euro-Raum deutlich ansteigen ließ. Vor allem der private Konsum wird dadurch belastet, da die Verbraucher weniger Geld für andere Ausgaben haben.
Nach einem Rückgang von 0,5 Prozent in diesem Jahr wird der private Konsum voraussichtlich im Jahr 2024 wieder steigen, getrieben von Lohnerhöhungen. Allerdings erwartet der IWF mit einer Wachstumsrate von nur 2,1 Prozent alles andere als einen Konsumboom. Gourinchas erklärt diese Einschätzung mit den Nachwirkungen des Energiepreisschocks aus dem vergangenen Jahr, der die Preise für Strom und Gas zurückgehen ließ, jedoch die Kerninflation nicht im gleichen Maße beeinflusste.
Deutschland fällt in der IWF-Prognose nicht nur durch die schwachen Zahlen auf, sondern besonders durch die starke Abwärtsrevision. Im Durchschnitt konnten die entwickelten Volkswirtschaften ihre Konjunkturaussichten für 2023 und 2024 halten. Lediglich für Italien ging die Prognose in beiden Jahren deutlich nach unten auf nur noch 0,7 Prozent Wachstum.
Laut Gourinchas muss die deutsche Prognose vor allem deswegen nach unten korrigiert werden, weil die Wirtschaft stark von der Industrie geprägt ist und die Erholung des Dienstleistungssektors kaum ins Gewicht fällt. Frankreich und Spanien hingegen profitieren von einem starken Tourismussektor und enteilen dadurch dem negativen Trend.
Für die USA hingegen erwartet der IWF eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und hat daher seine Prognose angehoben. Die weltgrößte Volkswirtschaft soll in diesem Jahr um 2,1 Prozent wachsen und im Jahr 2024 um 1,5 Prozent. Nach Ansicht von Gourinchas überrascht dies aufgrund "robusten Konsums und Investitionen". China hingegen, welches unter den Schwellenländern gelistet wird, muss aufgrund der Immobilienkrise Rückschläge hinnehmen.
Der IWF prognostiziert für 2023 ein Wachstum von fünf Prozent und für 2024 von 4,2 Prozent. Diese gegenläufigen Entwicklungen gleichen sich jedoch bei einem Blick auf die globale Konjunktur aus. Der IWF geht davon aus, dass die Weltwirtschaft 2023 weiterhin um drei Prozent wachsen wird, während es im Jahr 2024 bei 2,9 Prozent liegen wird, was lediglich eine minimale Abwärtsrevision bedeutet. Die globale Wirtschaft erholt sich allmählich von den Folgen der Pandemie, dem russischen Einmarsch in die Ukraine und der Krise bei den Lebenshaltungskosten, so Gourinchas.
Auch die weltweite Inflation wird nur langsam zurückgehen, auf 6,9 Prozent in diesem Jahr und auf 5,8 Prozent im nächsten Jahr. In Hinblick auf die Finanzpolitik unterstützen die Ausführungen von Gourinchas den eingeschlagenen Sparkurs der Bundesregierung, insbesondere um eine erneute Inflationsentwicklung zu vermeiden.
In einigen Ländern wird dieser Aspekt jedoch immer weniger beachtet, insbesondere in den USA. Gourinchas kritisiert, dass die Fiskalpolitik in den USA nicht antizyklisch sei, angesichts der zunehmenden kreditfinanzierten Investitionsprogramme der Regierung von Präsident Joe Biden.