Economics

Deutsche Konzerne unter Druck: Die wachsende Distanz zu China

Deutsche Unternehmen stehen vor einer Zwickmühle: Ein Rückzug aus China könnte ebenso schädlich sein wie ein Verbleib.

Eulerpool News 31. Jan. 2025, 11:37

Deutsche Unternehmen stehen vor einer entscheidenden Herausforderung: Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen deuten zunehmend auf eine Reduzierung der Abhängigkeit von China hin. Große Konzerne wie Volkswagen, BMW, BASF und Mercedes-Benz geraten dabei in ein Dilemma zwischen geopolitischen Risiken und der Bedeutung des chinesischen Marktes für ihre Geschäftsentwicklung.

Friedrich Merz, der als Favorit für das Kanzleramt bei den kommenden Wahlen gilt, warnte jüngst vor den Risiken eines zu engen Engagements in China. Er bezeichnete das Land als Teil einer „Achse der Autokratien“ und forderte Unternehmen auf, ihre Abhängigkeiten zu reduzieren: „Mein dringender Appell an alle Unternehmen: Begrenzen Sie das Risiko, um nicht Ihr eigenes Unternehmen zu gefährden.“

Diese Rhetorik markiert eine klare Abkehr von der Politik des amtierenden Kanzlers Olaf Scholz, der zwar vage von „De-Risking“ spricht, jedoch im vergangenen Jahr noch aktiv für bessere Marktbedingungen deutscher Unternehmen in China geworben hatte. Der politische Druck aus den USA wächst ebenfalls, insbesondere nach der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus, der Deutschland in der Wahl zwischen Washington und Peking zunehmend unter Zugzwang setzt.

Für deutsche Konzerne ist die Entscheidung über eine Neuausrichtung der China-Strategie möglicherweise nicht mehr allein in ihren Händen. Der einstige Wachstumsmarkt verliert an Attraktivität: Während deutsche Exporte nach China von 2015 bis 2020 rasant wuchsen, stagnieren sie seit der Pandemie. Gleichzeitig holen chinesische Unternehmen rasant auf – insbesondere im Bereich der Elektromobilität.

Lange Zeit als Hersteller minderwertiger Autos belächelt, haben chinesische Hersteller – massiv durch den Staat gefördert – in der Entwicklung von Elektrofahrzeugen die deutsche Konkurrenz überholt. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) sank der Marktanteil deutscher E-Autos in China 2024 auf nur vier Prozent – der niedrigste Wert weltweit. Gleichzeitig übersteigt der chinesische Markt für Elektrofahrzeuge die kombinierten Verkaufszahlen in Europa, den USA, Kanada, Japan und Südkorea deutlich.

Ein Manager eines nicht-deutschen Automobilkonzerns äußerte sich dazu drastisch: „Deutsche Hersteller müssen China aufgeben. Ihr Marktanteil geht gegen null. Es wird schmerzhaft.“ Wie schmerzhaft und wie schnell der Rückzug erfolgt, bleibt abzuwarten. Volkswagen lieferte 2019 noch 4,2 Millionen Fahrzeuge in China aus und erzielte dort einen operativen Gewinn von 4,4 Milliarden Euro. Bis 2023 sank die Zahl der Auslieferungen auf 3,2 Millionen Fahrzeuge, der operative Gewinn auf 2,6 Milliarden Euro.

Insgesamt fiel der Marktanteil ausländischer Automarken in China auf unter 40 Prozent – der niedrigste Stand aller Zeiten und ein deutlicher Rückgang gegenüber über 60 Prozent im Jahr 2020. Für VW, BMW und Mercedes, für die China zwischen einem Viertel und fast der Hälfte der weltweiten Verkäufe ausmacht, könnte der Druck weiter steigen.

Um ihre Marktposition in China zu verteidigen, nehmen deutsche Autobauer inzwischen fragwürdige Manöver in Kauf. Analysten zufolge müssen Konzerne wie VW hunderte Millionen Euro an chinesische Konkurrenten zahlen, um CO₂-Zertifikate zu erwerben und die neuen EU-Emissionsrichtlinien einzuhalten. Gleichzeitig klagen BMW und Mercedes gemeinsam mit chinesischen Herstellern gegen EU-Zölle auf Elektroautos aus China. Mercedes-Chef Ola Källenius sprach sich zudem dafür aus, chinesische Hersteller zu ermutigen, Werke in Europa zu eröffnen.

Die deutsche Autoindustrie stemmt sich ebenfalls gegen das geplante EU-Verbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035. Dies wirft die Frage auf, ob Deutschlands wirtschaftliche Interessen die europäische Industriepolitik in eine unerwünschte Richtung lenken.

Ein hochrangiger europäischer Industrieboss brachte es auf den Punkt: „Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas hat den Ausbau erneuerbarer Energien verlangsamt. Ich fürchte, jetzt verzögern sie unseren Umstieg auf Elektrofahrzeuge.“

Die Frage, ob und wie Deutschland den wirtschaftlichen Balanceakt zwischen De-Risking und Decoupling mit China meistert, wird eine der wichtigsten Unternehmensgeschichten der kommenden Jahre sein. Gelingt es deutschen Unternehmen, einen doppelten Verlust zu vermeiden – den Ausschluss vom chinesischen Markt und eine zunehmende Konkurrenz durch chinesische Hersteller auf dem Heimatmarkt?

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